Aspekte des sakralen Königtums
im alten Ägypten

37. Veranstaltung der Humboldt-Gesellschaft am 20.05.97 von Stefan Nehrkorn

Büste


Der altägyptische Königtum-Mythos

Der die altägyptische Reichsidee begründende Mythos ist die Grundlage für das Verständnis des sakralen Königtums. Er berichtet vom Anspruch zweier widerstreitender Gottheiten auf den Thron. Die zentrale Institution des Herrscherdogmas wurde während der 4000 Jahre dauernden Geschichte kaum in Frage gestellt. Der ägyptische Pharao war Gott und Mensch zugleich. Er war der Garant für die immer gefährdete kosmische Harmonie. Nur die Kontinuität seines Königtums, das zugleich untrennbar mit seiner Erscheinung als inkarnierter Gottheit verbunden war, vermochte das Reich zu sichern. Die rechtmäßige Thronfolge und das Eintreten eines potentiellen Thronfolgers in das oberste Herrschaftsamt Ägyptens vereinigte hauptsächlich zwei Aspekte. Einerseits handelte es sich um eine rein praktisch zu regelnde Angelegenheit, die wahrscheinlich eine stabilisierende Periode der gemeinsamen Regentschaft mit dem abtretenden Herrscher einschließen konnte. Andererseits stellte die durch ihr mythologisches Urbild geheiligte Thronbesteigung ein Ereignis von kultisch-sakralem Charakter dar. Laut Herrscherdogma ist der jeweilige Pharao die irdische Verkörperung des Himmelsgottes Horus.

Der Schlüssel zu einem angemessenen Verständnis der Herrschaft im alten Ägypten ist also im Mythos zu suchen, der die Weitergabe der Herrschaft von Osiris an dessen Sohn Horus beschreibt. Die Zauberkraft der Isis, Schwester und Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus, durch die eine ordnungsgemäße Thronfolge erst zustande kam, bilden einen wesentlichen Bestandteil dieses Mythos.

Die Zeugnisse, die ein mosaikartiges Bild des Königtum-Mythos ermöglichen, sind in Datierung und Form sehr unterschiedlich. Im Wesentlichen sind es Grabtexte, Stelen und Papyri, die sich oftmals widersprechen. Eine einführende Darlegung der Quellen findet sich im Buch von George Hart, welchem auch dieser Beitrag folgt:

Der altägyptische Schöpfungsmythos und der Mythos des Königtums sind auf raffinierte Weise miteinander verzahnt. Der Erdgott Geb und die Himmelsgöttin Nut zeugen vier Kinder: Osiris, Isis, Seth und Nephthys. Osiris trägt den Titel des "Ersten im Westen". Dieser Titel betont seinen Herrscherstatus über diejenigen, deren Seelen darauf hoffen, Einlaß in die Unterwelt zu finden. Er ist der Erstgeborene und rechtmäßiger Inhaber des ägyptischen Throns. Ihm stand seine Schwester Isis als Gemahlin zur Seite. Dieses Paar stellt den göttlichen Präzedenzfall für die eheliche Verbindung zwischen Halb- und Vollgeschwistern innerhalb der dynastischen Herrscherfolge dar. Osiris ist Sternenlenker, hat Macht über die Nilflut und beeinflußt alle Elemente zum Wohle Ägyptens. Am Anfang steht also wie so oft die Schilderung eines goldenen Zeitalters.

Dieses Idyll endet durch einen Gewaltakt Seths. Er ermordet Osiris. Seth sind Gewalt und Chaos eigen, da er sich schon gewaltsam aus dem Mutterleib befreit haben soll. Alle Quellen schildern dieses Verbrechen äußerst knapp. Dies zeigt die Abscheu, die das alte Ägypten gegenüber Königsmord und gewaltsamer Machtergreifung empfand. Sie ist auch ein Grund für die Beständigkeit des Pharaonenreichs.

Durch den Tod des Osiris wird Seth, gemeinsam mit seiner Schwester-Gemahlin Nephthys, zum Regenten. Nephthys jedoch solidarisiert sich mit ihrer Schwester Isis, welche über den Tod ihres Mannes verzweifelt ist. Isis plant, ihre mächtige Zauberkraft zu nutzen, um den Leichnam ihres Gatten zu finden und wiederzubeleben. Ziel ist die Zeugung eines gemeinsamen Sohns. Dieser Sohn soll den Mord und die Usurpation des Throns rächen.

Nachdem Isis den Leichnam ihres Gatten entdeckt hat, verwandelt sie sich in ein Sperberweibchen. Über Osiris schwebend, fächelt sie ihm den Odem des Lebens zu. Dieser lebensspendende Hauch reicht soweit, daß die Zeugung gelingt. Osiris, dessen Verwesung durch die Zauberkraft der Isis Einhalt geboten wurde, steigt als Herrscher in die Unterwelt hinab und gilt als Garant eines ewigen Fortlebens nach dem Tode.

Das Kind, das in diesem dramatischen Zeugungsakt entsteht, ist der Falkengott Horus. Im Schutze der Zauberkraft seiner Mutter wächst das Kind heran. Als Erwachsener sucht er den Entscheidungskampf gegen Seth, um seinen Thronanspruch durchzusetzen. Unter dem Vorsitz Res tritt der Gerichtshof der Götter zusammen, kann jedoch lange keine Entscheidung treffen. Der Sonnengott Re möchte die Geschicke der Welt lieber in den Händen des starken Seth sehen. Isis versucht durch Zauber die Wahl zugunsten ihres Sohnes zu entscheiden. Isis bringt durch eine List Seth dazu sein eigenes Urteil zu sprechen: Sie schildert in Verkleidung eine Geschichte an deren Ende Seth klar Partei für die unterlegene Seite des geschilderten Streits bezieht. Er erkennt nicht, daß es sich um eine Umschreibung seiner Bluttat handelt. Horus wird die Krone zugesprochen, doch Seth sucht noch zahllose Male den Kampf. Horus bleibt Sieger.

Mit dieser komplexen Gottheit Horus setzten sich die ägyptischen Pharaonen gleich. Das altägyptische Ordnungprinzip der Dualität findet in der Person des Königs seine stärkste Ausprägung. Er ist vieles zugleich: Mensch/Gott, Horus/Seth. Er ist allein dem kosmischen Gleichgewicht verpflichtet. Als Himmelsfalke spannte der König seine Flügel schützend über Ägypten und hielt an den Grenzpunkten das Chaos zurück. Er gründete die Welt zyklisch aufs neue.


Weiterführende Literatur:
Hart, George: Ägyptische Mythen, Stuttgart 1993, S. 49 ff.
Hornung, Erik: Geist der Pharaonenzeit, München 1992.
Scholz, Piotr O.: Altes Ägypten - eine kurze Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Köln 1996.


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