Der heilige Wald von Bomarzo - Gartenbaukunst im Manierismus
101. Veranstaltung der HUMBOLDT-GESELLSCHAFT am 08.05.00 von Stefan Nehrkorn
(EXTERN) Elektronischer Spaziergang durch den Park von Bomarzo:
"Der Du hier eintrittst und versuchst, alles von Anfang bis Ende zu verstehen, sage, ob
so viele Wunder geschaffen wurden, um den Fehler der Kunst zu begehen."
(Inschrift im Park von Bomarzo)
In der Nähe von Rom, bei Viterbo, findet man, halb versteckt von Bäumen und
Gestrüpp, "verdrehte" Plastiken: Monstren, Giganten, Fabeltiere in einem Park, der ebenso an
die magischen Landschaften der manieristischen Graphik erinnert wie an die Visionen von Max Ernst.
Schon Leonardo und Michelangelo haben solche monströsen Kuriositäten gezeichnet, Misch-
und Fabelwesen, Phantasieprodukte des Intellekts. Der Park von Bomarzo, ab 1552 im Auftrage Vicino
Orsinis entstanden, ein Bekannter Alessandro Farneses, dem Förderer des Vatikanischen Museen,
stellt sich als bildhauerische und architektonische Wunderlandschaft dar. Aus Inschriften in diesem
Park weiß man, was dieser "Sacro Bosco" bedeuten soll: es handelt sich um einen
"heiligen Wald, der keinem anderen gleicht". Alles darin ist verzerrt, sogar die Wege;
die Architektur ist bewußt falsch konzipiert, jedem "Normalen" entgegengesetzt, so daß
sich eine Wahnvorstellung ergibt, jene "follia", welche eine wichtige Triebkraft für Kunst und
Dichtung darstellt.
Bomarzo ist ein typischer Privatgarten: weltmüde Fürsten und Hofdandys fanden hier ein
intellektuelles, ein ästhetisches Schauerarkadien, ein Stimulans für den Trieb zum
Irrealen, eine neue künstliche Natur, in der Schönheit und Grauen sich mischen. Der Park
soll erstaunen. Eine Inschrift empfiehlt, mit "gehobenen Augenbrauen und versiegelten Lippen" durch
diesen Ort zu gehen. Die Entstellung des menschlichen Körpers, der Architektur, der Natur
erfolgt hier mit verrücktem Kalkül; sie wird bewußt als ästhetisches Mittel
verwendet. Ein Brief Orsinis erzählt von "Giganten-Fabeln und so vielen anderen
extravaganten und übernatürlichen Dingen". Im Park finden sich
Gigantomachie-Rätsel, Untiere, eine kapriziöse Sphinx, ein Elefant, geführt von
einem Neger, der einen römischen Legionär im Rüssel erstickt, ein
Höllenschlund, eine gewaltige Schildkröte u.v.m., kurz: manieristischer Synkretismus,
eine "Verschmelzung" von Gegensätzen.
Der Schöpfer dieser artifiziellen Wunder-Natur ist vermutlich der Florentiner Amanati. Seine
literarische Vorlage ist das Versepos "Amadigi" von Bernardo Tasso, dem Vater Torquatos. Darin
findet man einen Zauberwald, den der Held durchwandern muß, allen möglichen Schrecken
und Verführungen begegnend, bis er -dank seiner stoischen Haltung- im Ruhmestempel anlangt.
Doch welche Werke auch als Vorlage gedient haben mögen, im Park werden Würfel mit vielen
Wunder-Punkten hingeworfen: aus dem Zufall des Spiels entsteht eine Welt.
Vielleicht war der europäische Geist damals, über Kriege und Umwälzungen aller Art
hinaus, in seiner Spitze in Folgendem einig: im intellektuell-abstrus-mystischen Spiel, in einer
Art aristokratischen Verachtung alles leicht Überschaubaren, Begreiflichen und Begrifflichen,
in einer fast bösen, zumindest mutwilligen Verachtung des "Normalen". Einzigartigkeit und
Unvergleichbarkeit sind das Motto. In Bomarzo findet sich die Inschrift: Er (der Park) "der
nur sich und keinem anderen gleicht". Eine Formel des manieristischen Subjektivismus, des
besessenen Strebens nach Distanz und Unterscheidung. Welche Wirkung löst Einzigartigkeit aus?
Verblüffung, Erstaunen, Schock. "Schock" ist die Wirkung, die alle Surrealisten vorzugsweise
erreichen wollen. Der Schöpfer von Bomarzo wollte ein Mysterium darstellen: die
"Erschütterung", die man vor dem Ungewöhnlichen, vor dem ganz und gar Andersartigen, vor
dem Zusammenfall des Gegensätzlichen, vor der plötzlich harmonisierenden Wirkung des
Abstrusen oder vor dem schlechten Geschmack spürt. Dieser Kunstgriff der "Verblüffung"
ist von einem stärkeren als einem nur gauklerischen Effektstreben bestimmt: es soll das
Gegensätzliche der Erscheinungen im Erlebnis des "verblüfften" Erschreckens
überwunden werden. Die Gegensätzlichkeit wird in dieser Welt schizophrener Phantasmen ein
Ereignis des Spleens. Magie, säkularisierte Mystik und Spleen verbinden sich, von
introvertierter Erotik nicht zu reden. (Bomarzo galt den Bauern jahrhundertelang als eine
Teufelslandschaft sexueller Orgien.) Der Park will das Unverständliche in "Bildformeln"
zusammenfassen. Bomarzo ist ein manieristisches Konzentrat Europas, ein anamorphisches Labyrinth -
ein Zerrbild.
(nach: Gustav René Hocke: Die Welt als Labyrinth, Hamburg 1957, S.85ff)
(EXTERN) Elektronischer Spaziergang durch den Park von Bomarzo:
Exkurs Manierismus:
Manierismus ist eine "Epochenbezeichnung" für die Zeit zwischen
Renaissance und Barock. Der Begriff des Manierismus leitet sich vom italienischen "maniera" ab, das
seit dem 15. Jahrhundert verschiedenste Dinge bezeichnet. Einerseits stand es für
formvollendetes Benehmen andererseits für die individuelle Ausdrucksart eines Künstlers.
Mit "bella maniera" umschrieb man ein künstlerisches Werk dann, wenn es eine Zusammenschau des
bestmöglich Ausgewählten war. Folgende Zitate möchten den Begriff des Manierismus
ausleuchten helfen. So schrieb der Kunstkritiker Vasari Mitte des 16. Jahrhunderts:
"Die schönste Manier kam dadurch zustande, daß das häufige Nachbilden der
schönsten Dinge üblich wurde und man zu diesem Schönsten Hände oder Köpfe,
Körper, Beine zusammenfügte und aus allen diesen Schönheiten, soweit man konnte,
eine Gestalt machte und das für alle Figuren in jedem Werk besorgte, weswegen man sagt, das es
von "bella maniera" sei."
(Vasari 1550)
"Allein manierirt heißt ein Kunstproduct nur alsdann, wenn der Vortrag seiner Idee in
demselben auf die Sonderbarkeit angelegt und nicht der Idee angemessen gemacht wird. Das Prangende
(Preciöse), das Geschrobene und das Affectirte, um sich nur vom Gemeinen (aber ohne Geist) zu
unterscheiden, sind dem Benehmen desjenigen ähnlich, von dem man sagt, daß er sich
sprechen höre, oder welcher steht und geht, als ob er auf einer Bühne wäre um
angegafft zu werden, welches jederzeit einen Stümper verrät."
(Kant Kritik der Urteilskraft 1790)
"Eine sogenannte Spätrenaissance kann ich für Rom nicht anerkennen, ich kenne nur
verspätete Renaissancisten, denen zuliebe man aber keinen eigenen Stilabschnitt einrichten kann."
(Wölfflin 1888)
"Manierismus: Welt des Zweifels und der geheimen Lebensangst, Panzer statt Leib, Maske statt
Gesicht, Gespaltenheit, Dämonie, Absurdität"
(Hocke 1957)
"Es ist nicht möglich, Manierismus als ein einziges positives Glaubensbekenntnis
anzusehen, nicht einmal als eine Menge klar ausgesprochener Prinzipien, noch etwa als eine
ungeheure Woge nervöser Schwäche, unter der mehrere aufeinanderfolgende Generationen
zermalmt wurden. Zu verschieden waren die sozialen und geistigen Faktoren, die den vielen Formen
zugrunde lagen, in denen sich die Gesamtproduktion manifestierte."
(Van Regteren Altena 1955)
"Unter Manierismus hat man keinen Stil zu verstehen, sondern eine aus einem Stil
hervorgegangene Bewegung."
(Hoogewerff 1955)
Trotz der vielen Jahre, die zwischen den Zitaten liegen, sind in ihnen zwei -auch heute noch in der
Kunsttheorie unterschiedene- Hauptströmungen der Manierismusforschung zu erkennen. Die
ältere beschreibt mit "Manierismus" die Kunst der Epoche von ca. 1520 bis 1600, die andere
subsumiert unter diesem Begriff die Arten stilistischer Übersteigerung unterschiedlichster
-epochemachender- Formvorstellungen. Die letztgenannte Richtung distanziert sich von der These der
"Entstehung des Manierismus allein aus der geistesgeschichtlichen Verunsicherung durch die
Reformation". Sie macht manieristischen Stil überall dort aus, wo der "Kanon der Zeit"
übersteigernd überschritten wird, so z.B. auch im Werk der Surrealisten unseres Jahrhunderts.
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