Allgemeine Aspekte der Gruppenpsychologie
138. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 08.04.02 von Gero Bergmann
Allgemeine Aspekte der Gruppenpsychologie
Mit den Teilnehmern der Veranstaltung wurde ein Experiment
zum Thema Gruppenpsychologie durchgeführt. Es wurde das
Bild einer Extremsituation konstruiert (Schiffbruch,
Flugzeugabsturz etc.) und jeder Teilnehmer musste für sich
alleine entscheiden, wie er sich in dieser Situation
verhält und welche Tätigkeiten oder Gegenstände
er als wichtig erachtet und welche nicht. Anschließend
wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt und
mussten unter Vorstellung der gleichen Extremsituation
innerhalb der Gruppe zu einem einheitlichen Ergebnis
kommen. Die Teilnehmer mussten hierbei versuchen, ihre
eigene Individualität in die Gruppendiskussion
einzubringen, sich aber gleichzeitig auch von anderen
Motivationen überzeugen lassen. Im Anschluss wurden die
Ergebnisse der individuellen Vorgehensweise mit den
Ergebnissen der Gruppenarbeit verglichen. Im Ergebnis
konnte gezeigt werden, dass bei einem konstruktiven
Verhalten aller Gruppenmitglieder das Gruppenergebnis
durch die Bündelung von unterschiedlich verteiltem
Sachverstand sich immer erfolgreicher darstellt als das
Einzelergebnis.
Anhand einer in dieser Übung konstruierten sozialen Gruppe
können die allgemeinen Aspekte der Gruppenpsychologie
erläutert werden:
Was ist eine soziale Gruppe?
Ein organisiertes soziales System von zwei und mehr
Personen, die zum Zwecke der Realisierung gemeinsamer Ziele
über einen längeren Zeitraum so miteinander verbunden
sind, dass in einem gewissen Grade gemeinsame Funktionen
möglich sind, Rollenbeziehungen zwischen Mitgliedern bestehen und Normen existieren, die das Verhalten der Gruppe
und aller Mitglieder regeln.
Die Psychologie der Gruppe:
Gruppenstruktur: ergibt sich neben den statischen
Merkmalen wie Anzahl der Personen, Alter,
Bildungshintergrund etc. aus der Verteilung von variablen
Merkmalen wie z.B. Sympathie, sozialer Kontrolle und
Rollen- und Statuszuschreibungen
Gruppendynamik: bezieht sich auf Veränderungsprozesse
im Hinblick auf die genannten variablen Strukturmerkmale
Gruppendynamik:
Typische Phasenabfolge bei der Bildung von Gruppen:
Formierungsphase
Gruppenmitglieder lernen sich kennen,
überprüfen, ob sie zur Gruppe gehören wollen,
suchen nach einer Rolle innerhalb der Gruppe.
Beziehungen werden gebildet und geknüpft.
Sturm- und Drangphase
Rebellion gegen den Führer und Bevormundung durch die
Gruppe
Interpersonaler Konflikt
Kampf um Macht, Dominanz und Rollen
Normierungsphase
Feindseligkeit weicht Solidarität und Kooperation
Entstehung von Gruppenkohäsion
Gruppenrollen stabilisieren sich
Phase effektiver Leistung
Strukturelle Konflikte sind gelöst, die Rollen haben sich
stabilisiert, so dass Energien gebündelt und in das
gemeinsame Ziel investiert werden.
Auswahl wichtiger variabler Strukturmerkmale von
Gruppen:
Rollenverteilung (definiert als Erwartungen der
Gruppenmitglieder an das Verhalten des einzelnen)
Statusverteilung
Sympathieverteilung
Aufteilung soziale Kontrolle
Aufgabenbezogene und führungsbezogene Erwartungen
Gruppennormen
Messung der Struktur und Dynamik von Gruppen
z.B. Soziometrische Messung:
Erfasst werden die aufgabenbezogenen und
sympathiebezogenen Beziehungsstrukturen innerhalb einer
Gruppe. Wird diese Messung als Wiederholungsmessung, d.h.
zu zwei unterschiedlichen Messzeitpunkten durchgeführt,
dient sie der Erforschung der Gruppendynamik
Das Ergebnis einer soziometrischen Messung ist das
Soziogramm, z.B. auf Basis einer IPA:
Interaktionsprozessanalyse (IPA) von Bales (1950),
Methode der Verhaltensbeobachtung:
IPA Kategorien:
Sozioemotionales Verhalten (positiv)
(1) zeigt Solidarität
(2) zeigt Spannungsreduktion
(3) stimmt zu
Aufgabenorientiertes Verhalten
(4) macht Vorschläge
(5) bietet eine Meinung an
(6) vermittelt Orientierung
Informationsaustausch
(7) bittet um Orientierung
(8) bittet um Meinungsäußerung
(9) bittet um Vorschläge
Sozioemotionales Verhalten (negativ)
(10) stimmt nicht zu
(11) zeigt sich angespannt
(12) zeigt sich antagonistisch
Aus den Untersuchungen von Bales geht hervor,
dass es in Gruppen zwei Arten von (informellen) Führern zu
geben scheint: Aufgabenorientierte und sozioemotionale
Führer:
Sozioemotionale Führer zeigen häufiger positives
sozioemotionales Verhalten (Kategorien 1-3) und initiieren
Informationsaustausch (Kategorien 7-9)
Aufgabenbezogene Führer initiieren häufiger
aufgabenbezogenes Verhalten (Kategorien 4-6).
Gruppenmitglieder wenden sich häufig mit der Bitte um
Informationen an ihn (Kategorien 7-9). Darüber hinaus wird
ihm gegenüber häufig negatives emotionales Verhalten zum
Ausdruck gebracht (Kategorien 10-12).
Operationalisierung von Kohäsion:
Kohäsion:
Kräfte, die auf die Mitglieder einwirken, um in der Gruppe
zu verbleiben. Diese Kräfte resultieren aus
(a) der Attraktivität der eigenen Gruppe und
(b) der Attraktivität anderer Gruppen
Interpersonelle Attraktion zwischen den
Gruppenmitgliedern, z.B. Freundschaftswahlen und andere
soziometrische Indizes
Identifikation mit der Gruppe, z.B. durch die
Einschätzung des Gefühls der Zugehörigkeit zur Gruppe
Wunsch nach Verbleib in der Gruppe, z.B. durch
Fragebogen-Items
Auswahl an Determinanten
Anreizwerte der Gruppe
Erwartungen hinsichtlich der Konsequenzen
(Kosten/Belohnungen)
Gruppengröße
Konsequenzen der Kohäsion
Verbleib in der Gruppe
Macht und Einfluss der Gruppe auf ihre Mitglieder
Leistung???
Persönliche Effekte (Sicherheit/Selbstwertgefühl)
Ringelmann-Effekt
Annahme von Ringelmann:
Aktuelle Gruppenleistung =
Potentielle Leistung - Prozessverluste
Prozessverluste = Koordinative +
Motivationale Verluste
Gründe für mangelnde Motivation in Gruppen
(soziales Faulenzen)
Der Glaube, die Teamgefährten sind weniger motiviert
als man selbst, so dass man nicht die Rolle des Antreibers
übernehmen will.
Der Glaube, dass hohe Anstrengung sowieso nicht von der
Gruppe wahrgenommen wird und somit keine Anerkennung
bringt
Die Wahrnehmung, dass die anderen sich mehr anstrengen
und das eigene Faulenzen kompensieren werden.
Der Glaube, dass man sich im Team verstecken kann und
sich deshalb nicht so sehr anstrengen muss.
Steigerung der Kohäsion in Gruppen /
Mannschaften:
Teamstruktur
Vergrößerung der Rollenklarheit
Partizipativer Führungsstil
Einhaltung von Gruppennormen
Teamumgebung
Erhöhung des Kontakts
Unterscheidbarkeit
Teamprozesse
Gruppenmitglieder mit hohem Status dazu bringen,
"Opfer" für die "Mannschaft" zu bringen
Gruppenziele statt individuelle Ziele betonen
Kooperatives Verhalten fördern
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